Macht diktiert die Sprachenfrage

Verständigungsschwierigkeiten heute
von Werner Bormann.
Aus der Zeitschrift "EUROPA-UNION" Nr. 2/1976
Die Statistik der EG aus Luxemburg trägt ordnungsgemäß ihre Überschrift in den sechs Amtssprachen der Gemeinschaft: Ekspresoversigt - Schnellbericht - Press Notice - Note Rapide - Nota Rapida - Spoedbericht. Sie bezeichnet auch den Inhalt sechsfach als Olie - Erdöl - Petroleum - Pétrole - Petrolio - Aardolie. Das geht streng nach dem Sprachenartikel 217 des EWG-Vertrags und der Festlegung sprachlicher Gleichberechtigung in der Verordnung Nr. 1 - es war wirklich die erste Maßnahme der neuen Gemeinschaft, ihr Sprachenproblem zu regeln. Der Schnellbericht der EG bringt dann Tabellen mit Zahlen und mittendrin die Überschriften Rohöleinfuhren aus dritten Ländern - Crude oil imports from third-party countries - Importations de pétrole brut des pays tiers. Vergeblich sucht man, noch das Bekenntnis zum Ideal der Gleichberechtigung vor Augen, nach den Tabellenüberschriften in Dänisch, Italienisch und Niederländisch. Sie fehlen.

Es ist eben innerhalb von Tabellen wenig freier Raum, und schon so ein drucktechnisches Diktat erzwingt das Abgehen von dem einst selbst gesetzten Prinzip. Daß dann Deutsch und Englisch und Französisch erhalten bleiben und die "kleinen Sprachen" geopfert werden, entspricht den Machtkonstellationen dieser Welt, die sich so auch in in die vom Gleichheitsgrundsatz getragene europäische Integration hineinschleichen.

Die EG spüren ihr Sprachenproblem. Der Bundestag wird in der Drucksache 7/3713 vom 2. Juni 1975 von der Bundesregierung über einen Vorschlag des EG-Rates zu einer europäischen Aktiengesellschaft unterrichtet, die gemäß Artikel 1 "Societas Europaea - S. E." heißen soll. Das ist Latein. Da diese Gesellschaft in allen neun EG-Ländern identisch sein wird, soll für sie ein überall einheitlicher Name gelten. Diese Einheitlichkeit in einer Ebene über den nationalen Regelungen mußte auch in einer Sprache zum Ausdruck kommen, die keine der Nationalsprachen ist.

Sechs Sprachen gleichberechtigt zu verwenden, beeinträchtigt die Wirksamkeit, und daß durch eine Beschränkung das Arbeiten rationeller wird, lehr nicht nur die Erdölstatistik. Löst ganz einfach die Diskriminierung kleinerer Sprachen das Problem? Zeigt die Verwendung von "Societas Europaea" den richtigen Weg? Diese Fragen drängen sich auf, weil die Gemeinschaft selbst diese Wege beschritten hat, als konkrete Engpässe die breite Bahn von sechs gleich wichtig genommenen Sprachen versperrten. Aber auch diese Wege sind Sackgassen, weil es objektive Zwänge unmöglich machen, auf ihnen das Heil zu suchen.

Als die Mitgliedsländer den historischen Prozeß einleiteten, ihre Volkswirtschaften zu integrieren und damit Souveränität hinzugeben, bestanden sie auf der Wahrung ihrer kulturellen Identität und damit ihrer Sprache. Die Gleichberechtigung der Sprachen soll jedem EG-Bürger die gleichen Möglichkeiten zum Mitmachen geben. Deshalb erzwang die Bundesrepublik Deutschland 1971 durch ihr Veto, daß die europäische Universität in Florenz auch Deutsch als Arbeitssprache anwendet. Ihre zutreffende Überlegung war: Ein deutscher Wissenschaftler soll in seinen Abschlußklausuren allein sein Fachwissen - etwa in Jura - unter Beweis stellen, und nicht eine Kombinationsprüfung über seine Rechtskenntnisse und seine Englischkenntnisse ablegen. Müßte jeder Kandidat in Englisch schreiben, dann wäre ein englischer Wissenschaftler, der keine Sprachhemmnisse hat, immer überlegen. Das ist zutiefst ungerecht, und ungerechte Lösungen sind nie von Dauer.

Aber selbst wenn man sich kurzsichtig über diese Bedenken hinwegsetzen würde, könnte mehr als in der Erdölstatistik nicht gemacht werden. Die Verkleinerung der Zahl der Sprachen in der Neunergemeinschaft findet ihre Untergrenze bei drei. Englisch und Französisch stecken nicht zurück. Und Deutsch ist wieder in einer aufsteigenden Tendenz. 0502 686.41 21 ist die Schlüsselzahl des Erfolgs: Unter ihr sind im Bundeshaushalt die Mittel für die die "Verbreitung der deutschen Sprache im Ausland" ausgewiesen. In letzter Zeit mehren sich die Anerkennungen des Deutschen in internationalen Organisationen. Der neueste Erfolg wurde am 17. Oktober 1975 im PEN-Club errungen.

Drei Sprachen gleichermaßen zu verwenden, eine "Helvetisierung" Westeuropas, bedingt einen immensen Lernaufwand, ob es nun für die Benachteiligten drei oder für die Privilegierten nur zwei Fremdsprachen sind. Zweifelhaft mag sein, ob dies eine kleine linguistische Elite könnte. Zweifellos ist dies der Allgemeinheit unmöglich. Eine solche Forderung würde auch dem wohl begründeten Abbau des Ranges der Framdsprachen an unseren Schulen vollkommen widersprechen.

Noch die heute 40-jährigen hatten als Eingangsvoraussetzung für jeden qualifizierten Beruf ein Abitur mit drei Fremdsprachen, von denen zwei mindestens "ausreichend" beherrscht werden mußten. Die Reifeprüfung der Gegenwart begnügt sich mit nur einer Fremdsprache, und deren Note ist allein als Beitrag zur Gesamtnote wichtig. Dies betrifft die höhere Schule; die meisten Schüler besuchen andere Schultypen mit noch ungünstigerer Lage im Fremdsprachenunterricht.

Alle diese belegbaren Faktoren engen den Rahmen ein, in dem eine Lösung für das Sprachenproblem der EG der Neun gesucht werden muß. Aus den Zwangspunkten lassen sich die Kriterien zusammenstellen, die eine sinnvolle Antwort ermöglichen, die ihrerseits einen Lösungsvorschlag erbringt:

Als leichte und neutrale und lebende Sprache kann Esperanto weltweit wie auch regional in den EG der Neun als Zweitsprache dienen, wenn etwas Besseres als die gegenwärtigen Provisorien angewandt werden soll.